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Arbeitsgericht Stuttgart: Aushebelung des Datenschutzes für Schwerbehinderte?

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Heute Morgen bin ich über einen aktuellen Bericht auf heise online gestolpert dessen Überschrift mich ins Grübeln brachte. Heise titelte: „Keine Entschädigung bei verschwiegener Schwerbehinderung“ und löste damit eine kontroverse Diskussion innerhalb der Leserschaft im Kommentarbereich aus.

Offene Fragen

Mir als Jurist und passioniertem Datenschützer gingen bei dieser Überschrift gleich mehrere Gedanken durch den Kopf:

  • Haben wir nicht einmal gelernt, dass die generelle Frage nach einer Schwerbehinderung durch den Arbeitgeber regelmäßig eine unzulässige Frage ist?
  • Steht es nicht grundsätzlich jedem frei, seinen Gesundheitszustand offen zu legen?
  • Wie kann ein Gericht eine Informationspflicht scheinbar hintenherum einführen, die es doch gerade nicht gibt, und einem Betroffenen einen Rechtsanspruch unter Hinweis auf ein rechtlich korrektes Verhalten verwehren?
  • Ist letzteres, wie der Titel suggeriert, in diesem Fall überhaupt geschehen?
  • Muss jetzt jeder Schwerbehinderte schon in seinen Bewerbungsunterlagen seine Schwerbehinderung angeben?

Wie diversen Kommentaren auf heise online zu entnehmen ist, stellten sich viele Leser die gleichen Fragen. Dieses Urteil verlangt, insbesondere da die Schwerbehinderung als sog. besonderes personenbezogenes Datum i.S.d. § 3 Abs. 9 BDSG gilt, nach einer Auseinandersetzung und möglicherweise auch Klarstellung.

Der Fall

Um die Diskussion nachvollziehen zu können, lohnt es sich, sich zunächst mit dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart eingehender zu befassen:

Das Arbeitsgericht Stuttgart hatte sich in seinem Urteil vom 29.01.2014 (Az.: 11 Ca 6438/13) mit der Frage zu befassen, ob einem abgelehnten Bewerber gemäß §§ 81 Abs. 2 SGB IX (10. Buch des Sozialgesetzbuches), 15 Abs. 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) ein Entschädigungsanspruch wegen Benachteiligung aufgrund einer Schwerbehinderung gegen den potentiellen Arbeitgeber zusteht.

Der Sachverhalt

Der schwerbehinderte Kläger hatte sich bei der Beklagten auf eine Stellenausschreibung beworben und in seiner Bewerbung nach Auffassung der Beklagten nicht ausdrücklich auf die bestehende Schwerbehinderung hingewiesen. Er hatte lediglich im Lebenslauf als Zusatz zu einem Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit den Hinweis aufgenommen „Schwerbehinderung“ und zusätzlich nach seinen Angaben die Anlagen mit „Lebenslauf mit Behinderung“ bezeichnet. Letzteres wurde allerdings von der Beklagten bestritten. Weitere ausdrückliche Erklärungen oder Nachweise zu einer bestehenden Schwerbehinderung, insbesondere im Anschreiben, gab der Kläger nicht ab.

Der Kläger wurde durch die Beklagte nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Hierauf machte er einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 3 Bruttomonatsgehältern geltend und begründete diesen damit, dass er von der Beklagten nur aufgrund seiner bestehenden Schwerbehinderung nicht eingeladen worden sei.

Die Ablehnung

Das Arbeitsgericht erkannte zwar an, dass in der ausgebliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zwar eine Benachteiligung liege, lehnte einen Anspruch auf Schadenersatz unter Verweis auf die fehlende Kausalität zwischen der Benachteiligung und der bestehenden Schwerbehinderung ab.

Rechtlicher Rahmen

Nach der herrschenden Rechtsprechung und juristischen Fachliteratur gilt: Eine bestehende Schwerbehinderung muss nur dann mitgeteilt werden, wenn diese Auswirkungen auf die berufliche Leistungspflicht hat. Ein Bewerber hat grundsätzlich das Recht, diese zu verschweigen.

Nach §§ 81 Abs. 2 SGB IX, 15 Abs. 2 AGG steht einem Beschäftigten (hierzu gehören ausdrücklich auch Bewerber) gegen den Arbeitgeber ein Anspruch auf Schadenersatz zu, wenn er wegen eines in § 1 AGG enthaltenen Merkmales, hier die Schwerbehinderung, benachteiligt wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung, insbesondere bei Einstellung oder Beförderung, bereits dann vor, wenn der Beschäftigte nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Die Benachteiligung liegt in der Versagung einer Chance.

§ 15 Abs. 2 AGG erfordert weiterhin, dass die Benachteiligung gerade auf der Berücksichtigung des unzulässigen Merkmales beruht, d.h. gerade die hier im Raum stehende Schwerbehinderung des Klägers muss auch der Grund für die Nichtberücksichtigung gewesen sein (vgl.: § 2 Abs. 1 Ziff. 1 AGG „wegen“). Dies ist die sog. Kausalität.

Normalerweise hat im deutschen Zivilrecht jede Partei die Umstände darzulegen und zu beweisen, die für sie von Vorteil, also anspruchsbegründend sind. Gem. § 22 AGG kann eine Benachteiligung in diesem Sinne allerdings schon angenommen werden, bzw. die Kausalität wird vermutet, wenn der Bewerber Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung vermuten lassen. In diesem Falle greift eine sog. Beweislastumkehr und der Arbeitgeber hat seinerseits die Pflicht, die vermutete Benachteiligung zu widerlegen.

Die Entscheidung des Gerichtes

Nach der Auffassung des Arbeitsgerichtes Stuttgart bedarf es für die Annahme der Beweislastumkehr allerdings einer ausreichenden Darstellung darüber, dass der Arbeitgeber den Grund, auf den der Bewerber seine Benachteiligung stützen will, auch tatsächlich kennt, oder hätte kennen können. Dies wurde im vorliegenden Fall vom Gericht abgelehnt.

Hierzu führt das Gericht aus:

“Es obliegt deshalb dem abgelehnten Bewerber, die Kenntnis bzw. Möglichkeit hierzu darzulegen. […]Aus dem Bewerbungsschreiben selbst ergibt sich kein Hinweis auf das Vorliegen einer Schwerbehinderung.[…] Es genügt nicht, dass ein Hinweis so beschaffen ist, dass der Leser der Bewerbung objektiv die Möglichkeit hat, die Schwerbehinderung zur Kenntnis zu nehmen.[…] Mit der Zielsetzung der §§ 81 ff. SGB IX einerseits und der §§ 15, 7, 3, 1 AGG andererseits ist es nicht zu vereinbaren, dass ein Bewerber lediglich versteckte Hinweise auf eine Schwerbehinderung gibt. […]“

Und die Folgen?

Über das Ergebnis und die Begründung des Gerichtes, eine ausreichende Kenntnisnahmemöglichkeit des Arbeitgebers habe nicht vorgelegen, kann sicherlich diskutiert werden. Dies ist wie immer Auslegungsfrage. Wichtiger für die datenschutzrechtliche Praxis ist jedoch, hat dieses Urteil nun Folgen für den Schwerbehindertendatenschutz?

Schweigerecht ausgehebelt?

Hat das Gericht mit dieser Entscheidung das Schweigerecht generell ausgehebelt?

Nein!

Auch weiterhin gilt, dass eine Schwerbehinderung nicht generell offengelegt werden muss und der Arbeitgeber danach nicht grundlos fragen darf.

Generelle Offenbarungspflicht?

Hat das Gericht damit eine generelle Offenbarungspflicht begründet?

Nein!

Das Arbeitsgericht Stuttgart hat vielmehr einen seit langem bekannten und akzeptierten Grundsatz gestärkt, dass derjenige, der aus einem Umstand Vorteile ziehen will, muss diesen auch offenlegen. Das ist nicht neu und findet sich zum Beispiel auch im Bereich der Urlaubsgewährung. So haben Schwerbehinderte i.S.d. § 81 SGB IX gem. § 125 SGB IX 5 Tage zusätzlichen Urlaub. Hierzu bedarf es allerdings der Offenbarung gegenüber dem Arbeitgeber.

 


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